Es kommt nicht nur auf die Knochendichte an

2022-11-07 15:44:24 By : Ms. Natalie Yang

Von: Pamela Dörhöfer

Morgen ist Weltosteoporosetag. Die Erkrankung kann schwere Folgen haben, bleibt aber oft lange unerkannt.

Jede zweite Frau über 55 wird sich im Laufe ihres weiteren Lebens einen Knochen brechen“, sagt Peyman Hadji, Leiter des Hormon- und Osteoporosezentrums Frankfurt. Nach den Wechseljahren steigt durch die versiegende Östrogenproduktion das Risiko kontinuierlich an, denn das weibliche Geschlechtshormon spielt eine entscheidende Rolle für die Vitalität der Knochen. Weil das gleichermaßen für Testosteron gilt, sind Männer weniger anfällig für Osteoporose: Der Spiegel des männlichen Geschlechtshormons bleibt lebenslang relativ stabil, erst in höheren Alter, etwa ab 70 Jahren, wächst auch bei ihnen die Gefahr eines Knochenbruchs.„Bei Osteoporose ist das Verhältnis zwischen Frauen und Männern vier bis fünf zu eins“, erklärt Hadji. Neben dem Geschlecht können auch eine genetische Veranlagung, bestimmte Medikamente und der Lebensstil das Entstehen dieser Krankheit begünstigen, die nicht nur einzelne Knochen, sondern das gesamte Skelettsystem betrifft und zudem einen fortschreitenden Charakter hat. 

Insgesamt leiden in Deutschland zwischen sechs und acht Millionen Menschen unter Osteoporose, das ist fast ein Zehntel der gesamten Bevölkerung; Tendenz steigend. Im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums soll nun ein „Disease Managing Programm“ zum Umgang mit diesem Volksleiden aufgesetzt werden, um die Behandlung und Versorgung der Patienten zu verbessern. Auch der Frankfurter Osteoporose-Spezialist Hadji arbeitet daran mit.

Knochenbrüche aufgrund von Osteoporose zählen zu den häufigsten Gründen für Pflegebedürftigkeit, Auslöser kann schon ein leichter Sturz oder nur ein Stolpern, eine Überlastung beim Heben oder eine abrupte Bewegung sein. Besonders häufig brechen Knochen am Oberschenkelhals, am Ober- und Unterarm, an den Rippen und an der Wirbelsäule. Der Bruch verheilt im höheren Alter und bei porösen Knochen dann oft nur schwer, eine Operation samt Krankenhausaufenthalt belastet den Organismus zusätzlich, die Patienten müssen lange liegen, bauen dabei auch Muskeln ab, was sich ebenfalls fatal auswirken kann, da sie den Knochen dann nur noch wenig Halt geben können. All das sorgt dafür, dass diese Menschen oft nicht mehr richtig auf die Beine kommen oder aber schnell wieder stürzen und sich erneut etwas brechen. Umso wichtiger wäre es, Osteoporose frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. 

Unsere mehr als 200 Knochen sind trotz ihrer enormen Härte (die über der von Granit liegt) keine in sich starren, leblosen Gebilde, sondern unterliegen einem stetigen Umbauprozess: Älteres und beschädigtes Gewebe wird abgebaut und durch neu gebildetes ersetzt. Gesteuert werden diese Vorgänge durch ein ausgeklügeltes Zusammenspiel von Hormonen, Mineralien und Vitaminen. Das wichtigste Mineral ist Kalzium, denn es wird in den Knochen eingebaut. Bei den Vitaminen kommt vor allem D eine wichtige Funktion zu. Etwa ab dem 50. Lebensjahr baut sich mehr Knochen ab als auf. Grund zur Sorge besteht allerdings erst, wenn dieses Missverhältnis ein gewisses Maß übersteigt. Dann werden die Knochen immer poröser, so dass sie schließlich bei immer geringeren Anlässen brechen können.

Im Volksmund wird Osteoporose auch als Knochenschwund bezeichnet. Doch was genau passiert bei diesem Prozess? Oft wird er vor allem mit dem Verlust an Knochendichte in Verbindung gebracht. Tatsächlich verhält es sich komplizierter, sagt Hadji. Die Knochendichte beschreibt das Verhältnis der mineralisierten Knochensubstanz zum Volumen des Knochens. Ist sie hoch, so bedeutet das Festigkeit und Stabilität, wird sie niedriger, so geht das auf Kosten dieser beiden Eigenschaften. 

Doch neben der Dichte wirken sich auch Veränderungen in der inneren „Architektur“ der Knochen massiv auf deren Qualität aus, sagt der Frankfurter Osteologe. „Man kann sich das vorstellen wie bei einem Fachwerkhaus. Das kann auch nur jahrhundertelang stehen bleiben, weil die hölzerne Konstruktion es trägt. Brechen Teile, so verliert das gesamte Bauwerk an Stabilität.“ 

Diese Architektur besteht aus einer Struktur von Gewebefasern, die wie feine Balken quer, längs und diagonal miteinander verbunden sind und ein Art dicht gewobenes Netz im Inneren des Knochen bilden. Gerade diese zarten Fasern werden oft als erstes dünner, sagt Hadji. Im Laufe des Älterwerdens gingen Knochendichte und Struktur in etwa gleichem Maße verloren. Beide könnten jedoch auch unabhängig voneinander degenerieren. Bei etwa zehn bis zwanzig Prozent aller Fälle von Osteoporose sei lediglich die Architektur betroffen – meist als Folge einer Krankheit oder der Einnahme bestimmter Medikamente. Negativ auf die Knochenarchitektur können sich zum Beispiel Stoffwechselerkrankungen wie ein Diabetes Typ 1 und Typ 2, eine Überfunktion der Schilddrüse, die regelmäßige Einnahme von Cortison oder eine Chemotherapie und eine antihormonelle Behandlung von Brustkrebs oder Prostatakrebs auswirken, erklärt der Arzt. 

Ein großes Problem bei Osteoporose ist es, dass sie oft lange unbemerkt bleibt, weil sie sich schleichend entwickelt und zunächst keine Beschwerden bereitet; wobei die Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium oft schwere Schmerzen verursacht. Ein Anzeichen kann bei einigen Patienten ein Rundrücken sein, der durch ein Zusammensacken der Wirbel entsteht. Meist jedoch, so Hadji, werde Osteoporose entweder zufällig bei einer Röntgenaufnahme oder – noch häufiger – erst dann erkannt, wenn sich jemand bereits etwas gebrochen hat. 

Zum Messen der Knochendichte gibt es verschiedene Methoden auf Basis von Röntgenstrahlen, als Standardverfahren empfehlen die Weltgesundheitsorganisation und die in Deutschland gültigen Leitlinien des Dachverband Osteologie die sogenannte Doppel-Röntgen-Absorptionsmessung (DXA), bei der die Strahlenbelastung nur sehr gering ist.

Allerdings sei die reine Messung der Knochendichte oft nicht ausreichend, um eine Osteoporose nachzuweisen, sagt Hadji. Die feinen Strukturen der Architektur ließen sich damit nicht erkennen. Dafür sei ein spezieller kleiner Computertomograph nötig. In dieses Gerät steckt man dann zum Beispiel das Handgelenk oder das Schienbein – Stellen, wo die Knochen besonders wenig von Weichteilstrukturen umgeben und deshalb detailliert darzustellen sind. Dieses Verfahren biete sich vor allem für Patienten mit problematischen Brüchen oder beim Verdacht auf eine nicht durch Alterungsprozesse bedingte Osteoporose an, erläutert der Arzt. In Deutschland gibt es derzeit aber nur sehr wenige Zentren, in denen diese Untersuchung möglich ist. Eines davon ist das Hormon- und Osteoporosezentrum in Frankfurt, ein weiteres die Charité in Berlin, die anderen befinden sich in Hamburg und München.

Frühzeitig erkannt, lässt sich die Osteoporose zwar nicht heilen, aber ihr Verlauf doch bremsen, oft sogar weitgehend rückgängig machen. Als Basistherapie empfehlen Experten häufig eine Gabe von Vitamin D. Insbesondere ältere Menschen leiden oft unter einem massiven Mangel, weil der Körper den täglichen Bedarf nur unter dem Einfluss von Sonnenlicht bilden kann und nur wenige Lebensmittel (zum Beispiel fetter Fisch) gute Lieferanten sind. Im Alter kommen gleich zwei Faktoren zusammen: Die Haut ist weniger leistungsfähig, zudem halten sich viele nur noch selten im Freien auf. 

Zur Behandlung stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung. Die am häufigsten verordneten Mittel sind Bisphosphonate. Sie hemmen den Knochenabbau, können allerdings nicht dafür sorgen, dass sich neue Strukturen ausbilden, erklärt der Mediziner. Bisphosphonate können als Tabletten und bei schweren Fällen auch intravenös gegeben werden. Sie gelten als gut verträglich, eine seltene Komplikation bei langjähriger und hochdosierter Behandlung können Entzündungen am Ober- oder Unterkiefer sein. 

Eine andere Gruppe von Medikamenten bei Osteoporose ist Parathormon. Hierbei handelt es sich um biotechnologisch hergestellte Teilstücke eines körpereigenen Hormons. Es wirkt, indem es den Kalzium-Stoffwechsel ankurbelt und fördert so den Neuaufbau von Knochengewebe. Die Patienten müssen sich die Mittel einmal am Tag mit einem Pen, wie ihn auch Diabetiker verwenden, unter die Haut spritzen. Noch ist dieses Mittel sehr teuer, sagt Hadji, demnächst laufe allerdings das Patent aus. Zugelassen ist Parathormon nur für eine Behandlungsdauer von zwei Jahren – und diese darf nur einmal im Leben erfolgen. 

Selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren  ahmen an den Knochen die Wirkung von Östrogen nach, ohne selbst ein Hormon zu sein und in den Hormonhaushalt einzugreifen. Zugelassen sind sie zur Vorbeugung und Behandlung von Osteoporose bei Frauen nach den Wechseljahren.  Die jüngste Entwicklung bei der Osteoporosetherapie sind molekular zielgerichtete Medikamente auf Antikörper-Basis, wie sie zunehmend in der Medizin eingesetzt werden. Der Antikörper gegen Osteoporose heißt Romosozumab. Er schaltet das Signalprotein Sclerostin aus, ein Botenstoff, der den Knochenaufbau hemmt. 

Welche Behandlung am besten geeignet ist und wie lange die jeweiligen Mittel genommen werden müssen, hänge von der Schwere der Osteoporose ab und sei individuell zu entscheiden, sagt Hadji. In der Regel dauere eine Therapie vier bis fünf Jahre.

Doch auch Vorbeugung ist in gewissem Maße möglich, auf jeden Fall kann ein entsprechend angepasster Lebensstil dazu beitragen, den Verlauf einer Osteoporose zu verlangsamen. Experten raten dazu, Unter- und Übergewicht gleichermaßen zu vermeiden und bei der Ernährung auf eine ausreichende Zufuhr von Kalzium und Vitamin D zu achten. Verzichtet werden sollte auf übermäßigen Alkoholkonsum und das Rauchen. Auch mit regelmäßiger Bewegung lässt sich einiges erreichen. Als besonders wirksam gilt Krafttraining (sofern es der Gesundheitszustand zulässt), weil durch die Belastung Muskeln und Knochen gestärkt werden.

Infos gibt es beim wissenschaftlichen Dachverband Osteologie (www.dv-osteologie.org) beim Bundesselbsthilfeverband (www.osteologie-deutschland.de) oder beim Frankfurter Zentrum (www.hormon-osteoporosezentrum.de).