Osteoporoseassoziierte Fragilitätsfrakturen des Beckenrings

2022-11-07 16:20:34 By : Mr. Zon Pack

Hintergrund: Die Inzidenz der osteoporoseassoziierten Beckenringfrakturen bei Patienten von über 60 Jahren wird in Deutschland mit 224/100 000 pro Jahr angegeben, wobei diese weiter zunimmt. Bezüglich der operativen Therapie sind verschiedene Techniken verfügbar, allerdings fehlen bisher klinische Langzeitdaten.

Methode: Selektive Literatur- und Leitlinienrecherche sowie die klinische Erfahrung der Autoren.

Ergebnisse: Anamnestisch werden häufig ein oder mehrere Bagatelltraumata ermittelt. Die Patienten berichten von Schmerzen im Bereich von Hüfte, Leiste, tieflumbal oder von Beschwerden einer Lumboischialgie. Die neue Klassifikation Fragility Fractures of the Pelvis (FFP) berücksichtigt die besondere Frakturmorphologie und kann als Therapieentscheidungshilfe hinzugezogen werden (Evidenz Stufe IV). Ziel der Therapie ist eine zeitnahe Mobilisation unter adäquater Schmerzbehandlung. Die isolierte vordere Beckenringfraktur (FFP I) und die nicht verschobene Fraktur des hinteren Beckenrings (FFP II) sind meist stabil und können konservativ behandelt werden. Verletzungen vom Typ III und IV sind durch Instabilität gekennzeichnet und sollten in der Regel operiert werden.

Schlussfolgerung: Retrospektive Analysen zeigen eine Einjahresmortalität von 9,5 bis 27 %, eine Abnahme der Mobilität und eine verminderte Selbstständigkeit. Prospektive Therapiestudien sind dringend notwendig.

Aufgrund des demografischen Wandels und der steigenden Lebenserwartung kommt es zu einer zunehmenden Häufigkeit und klinischen Relevanz der osteoporoseassoziierten Insuffizienz- oder Fragilitätsfrakturen des Beckenringes. Die Fragilitätsfraktur wird nach der World Health Organization (WHO) als eine Fraktur definiert, die aufgrund eines inadäquaten Traumas entsteht, das bei normaler Knochensubstanz nicht zu einer knöchernen Verletzung führt. Hierzu kommt es aufgrund einer verminderten Knochenfestigkeit gegenüber Kompressions- und/oder Torsionskräften (1, 2).

Insbesondere die Fragilitätsfrakturen des Beckenringes innerhalb des geriatrischen Patientenkollektives haben einen wesentlichen Einfluss auf die Lebensqualität sowie Immobilität und stellen uns vor eine Herausforderung bezüglich adäquater Diagnostik, Klassifikation und therapeutischer Möglichkeiten. Gerade in Hinblick auf adäquate Behandlungskonzepte fehlen derzeit noch kontrollierte randomisierte Studien, auf deren Grundlage entsprechende Strategien entwickelt werden können. Dies führt im ambulanten aber auch stationären Bereich oft zu unzureichender Diagnostik und entsprechender Therapieeinleitung, sodass es bei vielen Patienten zu einem prolongierten Leidensweg durch viele Fachabteilungen kommt. Weiterhin zeigt sich eine Problematik bezüglich der bisherigen Klassifikation der Beckenringfrakturen nach der gebräuchlichen AO(Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen)-Klassifikation, weil sich die Verletzungen des geriatrischen Patientenkollektives morphologisch deutlich von den Beckenfrakturen jüngerer Patienten unterscheiden. Bezüglich diagnostischer Möglichkeiten, Klassifikation und Therapieoptionen zeigen sich in den letzten Jahren neuere Entwicklungen, die in diesem Artikel auf wissenschaftlicher Grundlage erläutert werden.

Auf Basis der klinischen und wissenschaftlichen Erfahrungen der Autoren erfolgte eine selektive Literaturrecherche in PubMed (Suchbegriffe: „fragility fracture pelvis“, „pelvic fracture elderly“, „osteoporotic pelvic fracture“, „insuffiency fracture“) unter Zuhilfenahme der WHO-Leitlinie und weiterer nicht in PubMed gelisteter wissenschaftlicher Veröffentlichungen sowie interner Leitlinien des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Universitätsklinikums Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg.

Der Leser soll nach Lektüre dieses Beitrags

Die Entität der osteoporoseassoziierten Beckenringfraktur des geriatrischen Patientenkollektives unterscheidet sich wesentlich vom Charakter der Beckenringfrakturen jüngerer Patienten mit guter Knochenqualität. Jüngere Patienten erleiden oftmals aufgrund eines hochenergetischen Traumas eine Beckenringverletzung mit ligamentären Läsionen, Frakturen und Dislokationen oder begleitenden Gefäß-Nerven-Verletzungen. Bei älteren Patienten ist die Ursache zumeist ein Bagatelltrauma, und die Fraktur ereignet sich aufgrund der verminderten Knochenqualität. In manchen Fällen liegt sogar eine negative Trauma-Anamnese vor. Diese niedrigenergetisch bedingten Beckenringfrakturen führen in der Regel nicht zu einer hämodynamischen Instabilität, begleitenden intrapelvinen Organverletzung oder Verletzung des umgebenden Weichteilmantels (2).

Zugrunde liegt eine verminderte Knochenqualität, die durch eine Verringerung der Knochendichte und -masse konsekutiv zum vermehrten Auftreten typischer Frakturen führt (3). Ebenfalls können Insuffizienzfrakturen des Beckens auch aufgrund von Vitamin-D-Mangel, langjähriger Cortisoneinnahme, langer Immobilisation, rheumatoider Arthritis oder Bestrahlung des Beckens auftreten (2, 4, 5).

Burge et al. konnten bereits im Jahr 2007 nachweisen, dass geriatrische Beckenringfrakturen 7 % der osteoporoseassoziierten Frakturen ausmachen (6). Im Gegensatz zu anderen osteoporosebedingten Frakturen existieren aktuell noch keine validen prospektiven Daten. Andrich et al. zeigten eine Inzidenz der osteoporoseassoziierten Frakturen des Beckenringes in Deutschland von 22,4/10 000 bei Patienten über 60 Jahren (7), eine retrospektive finnische Analyse ergab eine Steigerung der Inzidenz geriatrischer Beckenringfrakturen von 73 auf 364/100 000 im Zeitraum von 1970 bis 1997 bei Patienten mit einem Alter ≥ 80 Jahren. Sullivan et al. stellten dar, dass die geriatrischen Beckenringfrakturen in den USA von 1993 bis 2010 um 24 % (von 26 500 auf 33 000) zunahmen (8). Der enorme Anstieg ist durch die demografische Entwicklung und steigende Lebenserwartung in unserer Gesellschaft, jedoch auch durch eine verfeinerte Diagnostik zu erklären (9). Hierauf weist auch die Datenerhebung des Deutschen Beckenregisters von 2017 hin. In dieser zeigte sich eine Abnahme der Typ-A-Frakturen nach AO-Klassifikation, aber ein signifikanter Anstieg der Typ-B-Frakturen in den letzten 22 Jahren, was am ehesten auf die bessere Verfügbarkeit der Diagnostik mithilfe der Computertomographie zurückzuführen ist (9). In den bisherigen Untersuchungen findet sich eine signifikante Korrelation mit dem weiblichen Geschlecht und dem Alter der Patienten. In einer Studie von Fuchs et al. zeigte sich die höchste Inzidenz in der Altersgruppe der Patienten zwischen 81 und 90 Jahren (10). Eine kürzlich veröffentlichte Analyse des deutschen Beckenregisters ergab einen Anteil von 75 % weiblicher Patienten im untersuchten Patientenkollektiv mit einem Alter ≥ 60 Jahren (9), was mit einer höheren Inzidenz der Osteoporose korreliert (11, 12) (Grafik 1) . Auch Maier et al. fanden in ihrem retrospektiv analysierten Patientenkollektiv (93 Insuffizienzfrakturen des Beckenringes) 75 % weibliche Patienten und eine signifikante Korrelation mit einer verminderten Knochendichte in der Messung mithilfe der Doppelröntgenenergieabsorptiometrie (DEXA) sowie auch mit einem Vitamin-D-Mangel (13). In der Zusammenschau sind mehr als 60 % der Beckenringfrakturen im Alter mit Osteoporose assoziiert (9, 14).

Die Fragilitätsfrakturen des Beckenringes unterscheiden sich deutlich von den Beckenringverletzungen im jungen Alter. Neben der bereits erwähnten Osteoporose führt eine zunehmende Ossifikation und Rigidität der Bandstrukturen zu einem Verlust der Beckenelastizität und somit zu einer veränderten Belastung und Lastübertragung (15). Ein häufiges Verletzungsmuster bei Sturz auf die Seite ist die Kompressionsfraktur der Massa lateralis des Sakrums einhergehend mit einer horizontal verlaufenden Fraktur des Ramus superior des Os pubis (2, 16). Die unterschiedliche Frakturmorphologie lässt sich gut durch ein spezifisches und einheitliches Muster des Knochenabbaus im hinteren Beckenring erklären (15, 17). Insbesondere das Sakrum ist aufgrund der pathobiomechanischen Veränderung des Beckens im Alter frakturgefährdet (18). Die Frakturmorphologie kann sich im Laufe der Zeit auch ändern. Zu Beginn steht zumeist die bereits oben beschriebene Kompressionsfraktur, die sich allerdings aufgrund der Mobilisation unter Vollbelastung und erneuten Stürzen zu komplexeren Frakturen bis hin zum kompletten Kollaps des Beckenringes entwickeln können (2, 19).

Beckenringfrakturen lassen sich zunächst mittels der AO-Klassifikation in A-, B- und C-Frakturen einteilen. Typ A beschreibt eine stabile Fraktur, Typ-B-Verletzungen sind rotationsinstabil, während die Typ-C-Fraktur Rotationsinstabilität sowie eine vertikale Instabilität aufweist (9). Allerdings ist diese Klassifikation nicht auf die Morphologien der Beckenringverletzungen im Alter anwendbar und kann im geriatrischen Patientenkollektiv eine falsche Verletzungsschwere abbilden, weil Fragilitätsfrakturen nicht mit Beckenringfrakturen jüngerer Patienten vergleichbar sind. Gerade die bei älteren Patienten vorkommenden bilateralen Sakruminsuffizienzfrakturen sind bei jungen Erwachsenen eine Seltenheit und weisen in der Regel auf ein hochenergetisches Trauma hin (Typ C3 nach AO).

Von Rommens und Hofmann wurde auf Grundlage einer detaillierten radiologischen Analyse des eigenen Patientenkollektivs ein neues Klassifikationssystem entwickelt, welches auch die Sakruminsuffizienzfrakturen berücksichtigt (16). Hierbei spielt insbesondere der Grad der Instabilität eine entscheidende Rolle. Dieses Kriterium trägt im Wesentlichen zur operativen Entscheidungsfindung bei (2). Darüber hinaus wird in den verschiedenen Subtypen die jeweilige Lokalisation der Instabilität des posterioren Beckenringes charakterisiert.

Die FFP-Klassifikation beschreibt insgesamt 4 Typen (Abbildung 1–4).

FFP Typ I: Es handelt sich hierbei um isolierte anteriore Beckenringfrakturen ohne Beteiligung der posterioren Strukturen. Typ-Ia-Frakturen sind unilateral, Typ-Ib-Frakturen bilateral (Abbildung 1).

FFP Typ II: Diese Läsionen beschreiben nichtdislozierte Frakturen des hinteren Beckenringes. Dabei ist Typ IIa durch eine isolierte dorsale Läsion gekennzeichnet, Typ IIb ist eine Kompressionsfraktur der vorderen Massa lateralis des Sakrums einhergehend mit einer Instabilität des vorderen Beckenringes. Typ IIc beschreibt eine unverschobene, aber vollständige Sakrumfraktur, Iliumfraktur oder iliosakrale Verletzung mit begleitender Instabilität des vorderen Beckenringes (Abbildung 2).

FFP Typ III: Diese Frakturen sind gekennzeichnet durch eine dislozierte unilaterale hintere Beckenringverletzung mit gleichzeitiger Instabilität des vorderen Beckenringes. Typ IIIa beschreibt die verschobene Iliumfraktur, Typ IIIb ist durch eine verschobene unilaterale iliosakrale Ruptur gekennzeichnet, während Typ IIIc eine verschobene unilaterale Sakrumfraktur darstellt (Abbildung 3).

FFP Typ IV: Hierbei handelt es sich um bilaterale verschobene hintere Beckenringverletzungen. Typ IVa beschreibt bilaterale Iliumfrakturen oder bilaterale iliosakrale Rupturen. Typ-IVb-Frakturen sind spinopelvine Sprengungen mit einhergehenden bilateralen vertikalen Läsionen der Massa lateralis des Sakrums und einer gleichzeitigen horizontalen Komponente, die die beiden vertikalen Läsionen verbindet (U- oder H-Fraktur des Sakrums). Typ IVc ist eine Kombination verschiedener dislozierter Instabilitäten des hinteren Beckenringes (Abbildung 4) .

Anamnestisch liegen zumeist ein oder mehrere Bagatelltraumata vor. In einigen Fällen ist die Anamnese unklar oder es kann kein Trauma angegeben werden. Die Patienten präsentieren sich mit heftigen Schmerzen, die im Bereich der Hüfte, der Leiste oder tieflumbal gelegen sind und oft auch als Lumboischialgie-Beschwerden imponieren. Die klinische Untersuchung sollte neben der Palpation des vorderen und hinteren Beckenringes auch eine mechanische Überprüfung der Stabilität des Beckenringes durch vorsichtige Kompression der Beckenschaufeln sowie vorsichtiges „Aufklappen“ durch kontrollierten Druck auf beide Beckenkämme umfassen. Bei Verdacht auf eine Beckenringfraktur sollte zuerst eine Übersichtsaufnahme „Becken a. p.“ erfolgen, die durch „inlet“- und „outlet“-Aufnahmen sowie einer „Hüftaufnahme axial“ bei entsprechender Beschwerdesymptomatik ergänzt werden können. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass nur die Diagnostik mithilfe der Computertomographie (CT) zur adäquaten Diagnosestellung führt, da nichtdislozierte Kompressionsfrakturen des Sakrums nur unzureichend mithilfe konventioneller Untersuchungen diagnostiziert werden können (10, 16, 20).

Zunächst als isolierte vordere Beckenringfrakturen klassifizierte Läsionen zeigten in der späteren CT-Diagnostik in bis zu 80 % eine zusätzliche dorsale Läsion (20, 21). Bei Nichterkennen der Verletzungsschwere kann es zu einer inadäquaten Behandlung und in der Folge verzögerten Wiederherstellung und höheren Morbidität kommen.

Die Diagnostik mithilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) gewinnt bei persistierenden Schmerzen im Bereich des hinteren Beckenringes oder tieflumbalen Schmerzen ohne Korrelat in der CT-Untersuchung an Stellenwert. So lassen sich okkulte Sakruminsuffizienzfrakturen deutlich früher und effizienter diagnostizieren. Cosker et al. konnten an einem Patientenkollektiv mit zunächst vermuteter isolierter vorderer Beckenringfraktur in der anschließenden MRT-Untersuchung bei 95 % der Patienten eine Läsion des hinteren Beckenringes nachweisen (22). Somit weist dieses Verfahren die höchste Sensitivität auf.

Alternativ steht die Dual-Energy-Computertomographie (DECT) zur Verfügung, die ihren Vorteil in der höheren Sensitivität bezüglich eines Knochenmarködems im Vergleich zur klassischen CT hat (23).

Bei Verdacht auf eine Fragilitätsfraktur des Beckens sollte die Diagnostik zeitnah und umfassend durchgeführt werden.

Im Vordergrund steht die zeitnahe Mobilisation unter adäquater Schmerzbehandlung. Eine hämodynamische Instabilität ist selten und sollte mittels einer dringenden Becken-CT-Untersuchung mit Kontrastmittel identifiziert und durch eine darauffolgende Angiographie und selektive Embolisation therapiert werden (24). Bei Patienten mit medikamentöser Antikoagulation sollte an begleitende Blutungen gedacht werden. Eine hämodynamische Überwachung für mindestens 24 Stunden wird in diesem Fall empfohlen, um protrahierte Blutungen frühzeitig zu identifizieren und einer Angiographie und Embolisation zuzuführen (25, 26).

Weiterhin sollte eine zeitnahe Knochendichtemessung (DEXA) erfolgen und eine entsprechende Osteoporosetherapie eingeleitet werden. Maier et al. berichten in ihrer Studie, dass 75 % der aufgenommenen Patienten bereits eine diagnostizierte Osteoporose aufwiesen, allerdings nur 39 % der Patienten eine Osteoporosetherapie vor der Aufnahme erhielten. Eine durchgeführte DEXA-Messung zeigte bei allen 69 vermessenen Patienten einen T-Score von weniger als −2,5 (13). Hier sei auf einen neuen Therapieansatz mittels Parathormon (Teriparatid) hingewiesen. Peichl et al. konnten bereits 2011 eine signifikant verkürzte Heilung bei osteoporoseassoziierten Beckenringfrakturen nachweisen (27).

Generell sollte die Entscheidung über die Vorgehensweise bei der Therapie von einem multidisziplinären Team mit Chirurgen, Geriatern, Schmerztherapeuten und Physiotherapeuten getroffen werden. Ziel der Entscheidungsfindung sollte eine Optimierung des Patientenzustandes innerhalb kürzester Zeit sein sowie eine suffiziente Schmerzreduktion und Mobilisation mit den möglichst minimalinvasiven Optionen (2). Dazu sollte in der physiotherapeutischen Behandlung eine schmerzadapierte Vollbelastung erfolgen.

In Grafik 2 ist der klinikinterne Behandlungsalgorithmus des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Marburg/Gießen, Standort Marburg, abgebildet.

Die Therapieentscheidung richtet sich weiterhin nach den genannten Instabilitätskriterien der FFP-Klassifikation, sodass eine genaue Analyse der jeweiligen Fraktursituation essenziell ist. Im Folgenden werden die verschiedenen Therapieoptionen in Zusammenhang mit der „FFP-Klassifikation“ detailliert aufgeführt.

Die im Jahr 2013 publizierte FFP-Klassifikation bietet einen Rahmen zur Betrachtung der Verletzungen, sie wurde jedoch bisher noch nicht durch Studien validiert. Zu den einzelnen Therapieoptionen bestehen ebenfalls noch keine randomisierten kontrollierten Studien, und die Empfehlungen stützen sich weitesgehend auf retrospektive Daten.

Die isolierte vordere Beckenringfraktur kann als stabil eingeschätzt und somit konservativ behandelt werden. Die stationäre Aufnahme kann bei hoher Schmerzintensität trotz analgetischer Therapie zur Mobilisation unter Vollbelastung und physiotherapeutischer Betreuung indiziert sein. Die Anwendung standardisierter Protokolle zur Schmerztherapie kann aufgrund der Co-Morbiditäten der Patienten erschwert sein. In Anbetracht der Nebenwirkungen und Interaktionen sollte die Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika vorsichtig angewandt werden (28, 29). Zumeist sind Opioide als zusätzliche Therapieoption indiziert. Kognitiv eingeschränkte Patienten sollten eingehend untersucht und beurteilt werden, um eine adäquate Analgesie einzuleiten (30). Hier sei auf spezielle Tools zur Schmerzerkennung bei demenziellen Patienten, wie zum Beispiel auf den „BESD“(Beurteilung des Schmerzes bei Demenz)-Score, hingewiesen, der Atmung, negative Lautäußerungen, Körperhaltung, Mimik und die Reaktion des Patienten auf Trost beinhaltet (31).

Eine radiologische Kontrolle wird empfohlen, um sekundäre Dislokationen oder sekundär auftretende Frakturen auszuschließen und wenn keine zeitnahe Mobilisation aufgrund der ausgeprägten Schmerzsymptomatik möglich ist. In diesem Falle ändert sich gegebenenfalls die Klassifikation der FFP.

FFP II ist durch eine nichtverschobene Fraktur im Bereich des hinteren Beckenringes gekennzeichnet. Eine isolierte hintere Beckenringverletzung (Typ FFP IIa) tritt selten auf. Meist kommt es aufgrund des Unfallmechanismus zusätzlich zu einer vorderen Beckenringfraktur in Kombination mit einer Kompressionsfraktur im Bereich der Massa lateralis des Sakrums (FFP Typ IIb) oder zu einer nichtverschobenen, vollständigen Sakrumfraktur, Iliumfraktur oder iliosakraler Verletzung (FFP Typ IIc). Auch diese Verletzungen können konservativ behandelt werden, sie führen allerdings zu längeren Immobilisierungsphasen. Falls die konservative Therapie nicht zu einer suffizienten Schmerzlinderung und Mobilisation führt, ist mit dem Patienten die operative Therapie zu diskutieren. Hier stehen perkutane Verfahren im Vordergrund. Zusätzlich zur Stabilisierung des hinteren Beckenringes ist auch eine Stabilisierung des vorderen Beckenringes in Betracht zu ziehen (2).

Die Verletzungen vom FFP Typ III und IV sind durch eine deutliche unilaterale oder bilaterale Instabilität des hinteren Beckenringes gekennzeichnet. Da Typ-III-Läsionen selten spontan ausheilen, empfehlen wir eine operative Therapie. Auch hier sind perkutane Verfahren einer offenen Reposition vorzuziehen, solange keine grobe Dislokation vorliegt.

Auch Typ-IV-Verletzungen sollten operativ versorgt werden. Zur Vermeidung einer Intrusion des lumbosakralen Fragmentes sind beide Seiten operativ zu stabilisieren (2).

Die verschiedenen operativen Verfahrensmöglichkeiten zur Stabilisierung des hinteren und des vorderen Beckenringes werden in der eTabelle dargestellt. Im Folgenden werden lediglich die am häufigsten angewandten Stabilisierungen erläutert (Abbildung 5).

Operative Verfahren zur Stabilisierung des hinteren Beckenringes

Eine Mehrzahl der posterioren Sakrumfrakturen (komplette oder verschobene Frakturen der Massa lateralis des Sakrums) können mit der perkutanen transiliosakralen Schraubenosteosynthese versorgt werden. Diese Technik ist bereits für die Stabilisierung von hinteren Beckenringverletzungen bei hochenergetischen Beckentraumata weit verbreitet und akzeptiert. Es werden ein oder zwei 7–8 mm kannülierte Schrauben mit Teil- oder Vollgewinde in den ersten Sakralwirbel (S1) eingebracht, zusätzlich kann eine zweite Schraube in S2 eingebracht werden. Im Falle einer bilateralen dorsalen Instabilität können beide Seiten simultan mittels zweier iliosakraler Schrauben versorgt werden. Alternativ kann hier der transsakrale Positionsstab eingesetzt werden.

Bei isolierten und inkompletten Kompressionsfrakturen der Massa lateralis (FFP Typ IIa) stellt die Sakroplastie eine Alternative dar. Hierbei wird analog zur Vertroplastie lediglich eine Zementapplikation im Frakturbereich durchgeführt. Selten treten Fragilitätsfrakturen im Bereich des Ilium lateral der Iliosakralfuge auf (FFP Typ IIIa). Falls eine Instabilität und Dislokation vorliegen, erfolgt die operative Versorgung mittels Plattenosteosynthese.

Bei einer ausgeprägten Dislokation und vertikalen Instabilität wie bei FFP Typ III und IV kann eine unilaterale oder bilaterale lumbopelvine Fixation notwendig sein. Im Falle einer multiplanaren Instabilität kann zusätzlich eine iliosakrale Schraubenosteosynthese durchgeführt werden, um eine horizontale und vertikale Stabilität zu erreichen. Diese als „triangulare Stabilisierung“ bekannte Technik scheint biomechanisch die stabilste Fixationsform zu sein (32).

Operative Verfahren zur Stabilisierung des vorderen Beckenringes

Bei einer ventralen Instabilität (zum Beispiel FFP Typ IIb) kann eine Stabilisierung bei immobilisierenden Schmerzen mithilfe eines Fixateur externe erfolgen. Hierbei werden minimalinvasiv Schanz‘sche Schrauben bilateral in den supraazetabulären Bereich eingebracht. Analog zu der Versorgung mit dem Fixateur externe kann die Stabilisierung des vorderen Beckenringes ebenfalls durch interne Fixationstechniken erreicht werden. Hierbei kommen sowohl rein subkutane als auch tiefe (submuskuläre) Verfahren zum Einsatz. Möglich ist auch das Einführen einer retrograden transpubischen Schraube (sogenannte „Kriechschraube“).

Trotz der deutlich steigenden Inzidenz der Fragilitätsfrakturen des Beckenringes finden sich in der Literatur bisher lediglich retrospektive Auswertungen. Die durchschnittliche Krankenhaus-Liegezeit beträgt zwischen 9,3 und 45 Tage (3, 14). Die 1-Jahres-Mortalität wird in der Literatur zwischen 9,5 % und 27 % angegeben (3, 13, 33), vergleichbar mit dem Kollektiv bei der proximalen Femurfraktur. Hill et al. zeigten sogar eine Mortalität nach 5 Jahren von 54,4 % (34).

Bei einer erfolgreichen konservativen Therapie (FFP Typ I und II) ist mit einer Schmerzlinderung innerhalb von 2 Wochen und einer Wiederherstellung der Mobilität innerhalb von 6 Wochen zu rechnen. Bei einer operativen Therapie (FFP Typ II, Typ III und Typ IV) ist mit einer schnellen Schmerzlinderung zu rechnen. Die Frakturheilung dauert zwischen 6 Wochen und 3 Monaten, die Erlangung der vollen Gehfähigkeit gelingt in der Regel nach 3 Monaten (24).

Bei konsequenter und adäquater Durchführung der konservativen Therapie mittels frühzeitiger Mobilisation treten nach eigener Erfahrung selten therapieassoziierte Komplikationen auf, allerdings berichten Maier et al. in ihrem konservativ therapierten Kollektiv (n = 93) von einer Komplikationsrate von 58 % (Harnwegsinfekte [61 %], Pneumonie [29 %], Depression [5 %], thrombembolische Ereignisse [3 %]). Im Langzeitverlauf (durchschnittliche Nachbeobachtungszeit: 34 Monate) zeigte sich nahezu eine Verdopplung der Patientenzahl, die Hilfe im täglichen Leben benötigten. 77 % der Patienten waren vor der erlittenen Fraktur selbstständig, während 66 % nach der Fraktur hilfsbedürftig wurden (13). Breuil et al. konnten eine Reduktion der Selbstständigkeit bei fast 50 % der Patienten innerhalb eines Nachbeobachtungszeitraumes von durchschnittlich 29 Monaten nachweisen (11). In der Fallserie von Taillandier et al. erlangten lediglich 22 der nachuntersuchten 56 Patienten ihren ursprünglichen funktionellen Status (35).

Das Risiko einer sekundären Dislokation sowie Veränderung des Frakturtypes innerhalb des Therapieverlaufes sollten beachtet werden. So kann eine konservative Therapie bei Persistenz der Schmerzen und Immobilisation in eine operative Therapie münden. In Einzelfällen können nach konservativer Therapie Pseudarthrosen entstehen, die gegebenenfalls einer sekundären operativen Stabilisierung zugeführt werden müssen.

Im Falle einer operativen Therapie reichen die Komplikationen von den üblichen OP-Komplikationen (Nachblutung, Infektion, Nervenläsionen, Beinvenenthrombosen) bis hin zu Lungenarterienembolien und Multiorganversagen. Diese schwerwiegenden Komplikationen sind allerdings aufgrund der zunehmend minimalinvasiven Verfahren selten (36, 37). Es existieren noch keine Vergleichsdaten unterschiedlicher Osteosyntheseverfahren bezüglich Komplikationsraten und Ergebnis bei FFP. Hopf et al. konnten in ihrer retrospektiven Untersuchung eine signifikante Schmerzreduktion nach durchgeführter perkutaner iliosakraler Schraubenosteosynthese zeigen (VAS 6,8 bei Aufnahme, VAS 1,8 bei Entlassung). Alle 30 behandelten Patienten wurden zunächst einer konservativen Therapie über einen Zeitraum von 6 Tagen zugeführt, wobei sich hier nur eine unwesentliche Schmerzabnahme zeigte (VAS 6,0), sodass eine perkutane iliosakrale Schraubenosteosynthese durchgeführt wurde. 22 der 30 Patienten erreichten ihre ursprüngliche Mobilität. Nach einem Beobachtungszeitraum von 31 Monaten zeigten sich bei 16 von erreichten 22 Patienten keine oder nur minimale Einschränkungen im täglichen Leben (38). Hauptsächliche Komplikationen der iliosakralen Schraubenosteosynthese sind Schraubenfehllagen (3–17 %) und Nervenläsionen (0–8 %) (37). Um einer Schraubenlockerung aufgrund der osteoporotischen Knochenqualität vorzubeugen wird eine zusätzliche Zementaugmentation empfohlen (39). Dabei sollte die Zementapplikation vorsichtig erfolgen, um Zementleckagen zu vermeiden (2). Ob die additive Zementaugmentation zu einem Standardverfahren bei der Sakruminsuffizienzfraktur wird, müssen weitere klinische Studien zeigen (2). Bezüglich der Komplikationsraten bei der Versorgung des ventralen Beckenringes finden sich vor allem Daten hinsichtlich des Fixateur externe. Hier werden Pininfekte (2,5–50 %), Schraubenlockerungen (0–19 %) und Repositionsverluste (0–33 %) beschrieben (40), sodass dieses Verfahren mittlerweile kontrovers diskutiert wird (2). Subkutane Systeme zeigten eine deutliche Reduktion der Infektionsrate (3 %), sollten allerdings in weiteren klinischen Studien evaluiert werden (40).

Die beschriebene Erhöhung der Mortalität, Abnahme der Mobilität und konsekutiv auch der sozialen Selbstständigkeit bei prolongierter konservativer Therapie zeigen, dass es im ambulanten und stationären Bereich wichtig ist, mittels zeitnaher Diagnostik sowohl die Fraktur(en) als auch deren Instabilität zu identifizieren. Die Evaluation der Schmerzsymptomatik sollte regelmäßig erfolgen und frühzeitig minimalinvasive operative Therapien erwogen werden, um Schmerzreduktion zu erreichen und somit die Mobilität wiederherzustellen. Die Behandlung dieser Patienten in interdisziplinären unfallchirurgisch-geriatrischen Zentren, strukturierte Diagnostik und Behandlungsabläufe sowie dringend benötigte prospektive Studien sollten helfen, das Ergebnis für geriatrische Patienten mit erlittener Fragilitätsfraktur des Beckenringes zu verbessern.

Definition Die Fragilitätsfraktur wird nach der World Health Organization (WHO) als eine Fraktur definiert, die aufgrund eines inadäquaten Traumas entsteht, das bei normaler Knochensubstanz nicht zu einer knöchernen Verletzung führt.

Ätiologie Die Entität der osteoporoseassoziierten Beckenringfraktur des geriatrischen Patientenkollektives unterscheidet sich wesentlich vom Charakter der Beckenringfrakturen jüngerer Patienten mit guter Knochenqualität.

Frakturursachen sind: eine verminderte Knochenqualität, die zum Auftreten typischer Frakturen führt; Vitamin-D-Mangel, langjährige Cortisoneinnahme, lange Immobilisation, rheumatoide Arthritis oder vorherige Bestrahlung des Beckens.

Osteoporose In der Zusammenschau sind mehr als 60 % der Beckenringfrakturen im Alter mit Osteoporose assoziiert.

AO-Klassifikation Beckenringfrakturen lassen sich zunächst mittels der AO-Klassifikation in A-, B- und C-Frakturen einteilen. Typ A beschreibt eine stabile Fraktur, Typ-B-Verletzungen sind rotationsinstabil, während die Typ-C-Fraktur Rotationsinstabilität sowie eine vertikale Instabilität aufweist.

Anamnese Die Patienten präsentieren sich mit heftigen Schmerzen, die im Bereich der Hüfte, der Leiste oder tieflumbal gelegen sind und oft auch als Lumboischialgie-Beschwerden imponieren.

Diagnostik Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass nur die Diagnostik mithilfe der Computertomographie zur adäquaten Diagnosestellung führt, da nichtdislozierte Kompressionsfrakturen des Sakrums nur unzureichend mithilfe konventioneller Untersuchungen diagnostiziert werden können.

Therapieziel Im Vordergrund steht die zeitnahe Mobilisation unter adäquater Schmerzbehandlung und eine Optimierung des Patientenzustandes innerhalb kürzester Zeit.

Therapieentscheidung Für die Therapieentscheidung ist die genaue Analyse der jeweiligen Fraktursituation essenziell.

Frakturtyp FFP I Die isolierte vordere Beckenringfraktur kann als stabil eingeschätzt werden und somit konservativ behandelt werden. 

Frakturtyp FFP II Hierbei handelt es sich um eine nichtverschobene Fraktur im Bereich des hinteren Beckenringes. Auch diese Verletzung kann konservativ behandelt werden, sie führt allerdings zu längerer Immobilisierung.

Operative Verfahren zur Stabilisierung des vorderen Beckenringes Bei einer ventralen Instabilität (zum Beispiel FFP Typ IIb) kann eine Stabilisierung bei immobilisierenden Schmerzen mithilfe eines Fixateur externe oder interne erfolgen.

Komplikationen und Prognose Die durchschnittliche Krankenhaus-Liegezeit beträgt zwischen 9,3 und 45 Tage. Die 1-Jahres-Mortalität wird in der Literatur zwischen 9,5 % und 27 % angegeben, vergleichbar mit dem Kollektiv bei der proximalen Femurfraktur.

Cave Das Risiko einer sekundären Dislokation sowie Veränderung des Frakturtypes innerhalb des Therapieverlaufes sollte beachtet werden.

OP-Komplikationen Im Falle einer operativen Therapie reichen die Komplikationen von den üblichen OP-Komplikationen (Nachblutung, Infektion, Nervenläsionen, Beinvenenthrombosen) bis hin zu Lungenarterienembolien und Multiorganversagen.

Fazit Die Evaluation der Schmerzsymptomatik sollte regelmäßig erfolgen und frühzeitig eine minimalinvasive Therapie erwogen werden, um eine Schmerzreduktion zu erreichen und somit die Mobilität wiederherzustellen.

Wir danken Dr. M. Rollmann (Universitätsklinikum des Saarlandes) für die Unterstützung bei der Erstellung von Grafik 1.

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten eingereicht: 13. 7. 2017, revidierte Fassung angenommen: 11. 12. 2017

Anschrift für die Verfasser PD Dr. med. Ludwig Oberkircher

Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie

Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg

Zitierweise Oberkircher L, Ruchholtz S, Rommens PM, Hofmann A, Bücking B, Krüger A: Osteoporotic pelvic fractures. Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 70–80. DOI: 10.3238/arztebl.2018.0070

►The English version of this article is available online: www.aerzteblatt-international.de

Zusatzmaterial eTabelle: www.aerzteblatt.de/18m0070 oder über QR-Code

Reinhardtstr. 34 · 10117 Berlin Telefon: +49 (0) 30 246267 - 0 Telefax: +49 (0) 30 246267 - 20 E-Mail: aerzteblatt@aerzteblatt.de

entwickelt von L.N. Schaffrath DigitalMedien GmbH

Sie finden uns auch auf: